Immer häufiger muss Toronto einspringen, wenn eigentlich New York gemeint ist. Warum ist das so?
Um eine Ahnung von den Ausmaßen Torontos zu gewinnen, sollte man erst einmal hoch auf den CN Tower fahren, den 553 Meter hohen Fernsehturm der Stadt. Dauert 58 Sekunden und ist ein Erlebnis. Der CN Tower ist Torontos Wahrzeichen, man ist hier stolz auf das zweithöchste freistehende Bauwerk der Welt. Der Blick auf den Ontariosee und die Aussicht auf die Skyline Torontos ist beeindruckend. Hier wird deutlich, warum Hollywood-Produzenten immer häufiger nach Toronto ausweichen, wenn sie New York simulieren wollen: Toronto sieht, so von weitem betrachtet, halt genauso aus. Ist die Hauptstadt Ontarios aber auch genau so aufregend wie der berühmte amerikanische Bruder?
Ich treffe Andrew Dobson, einen Blogger und Reisejournalist aus Toronto in einem Restaurant im Distillery District. Das „El Catrin“ ist raffiniert gestylt und gehört zu der Sorte Edel-Mexikaner, wie man sie neuerdings immer häufiger antrifft. Der Distillery District war früher einmal ein Ort, in dem in knapp 50 Rotziegel-Hallen jährlich zehn Millionen Liter Whiskey produziert wurde. 2003 entstand hier nach aufwändiger Restaurierung neues Leben: Galerien, unabhängige Shops, kreative Restaurants leben jetzt hier in friedlicher Ko-Existenz zusammen, das Projekt boomt.
„Die Menschen schauen dir hier offen und freundlich in die Augen“, behauptet Andrew Dobson, „das ist der große Unterschied zu Metropolen wie London oder New York.“ Worauf das zurückzuführen ist? Dobson zuckt mit den Schultern. „Meine Vermutung: Toronto ist eine sichere Stadt – niemand muss hier ständig auf der Hut sein.“ Wir schauen uns in El Catrin um: Der Laden ist voll, das Publikum hat seine Wurzeln auf der ganzen Welt. Wie überall in Toronto. Touristen? „Nein“, behauptet Dobson. „Obwohl der Distillery District ja als Vergnügungsviertel gilt, sind hier hauptsächlich Torontanians unterwegs. Es gibt diesen typischen Toronto-Ureinwohner ja gar nicht, ein ‚Ausländer‘ oder Integrationsproblem existiert somit auch nicht. Ich würde tippen, dass die Hälfte der Einwohner nicht in Kanada geboren sind. Toronto ist die multikulturellste Stadt, die ich kenne.“
Es ist daher sicher auch kein Zufall, dass der amerikanische Schriftsteller John Irving – der seit einigen Jahren in Toronto lebt – ausgerechnet durch das Viertel Kensington Market schlenderte, um für seinen letzten Roman „Straße der Wunder“ auf YouTube zu werben. Im Gespräch über die Vorzüge seiner Wahlheimat sagt er: „Kensington Market ist für mich ein Sinnbild für das tolerante Klima dieser Stadt, für die Offenheit und Freiheitsliebe Torontos – hier kann jeder seine Flagge hissen, so hoch er will!“
Kensington Market war im frühen 20. Jahrhundert mal ein bitterarmes jüdisches Viertel, bis sich nach dem Zweiten Weltkrieg Immigranten von den Azoren, aus der Karibik, Ostasien und Vietnam dort ansiedelten, später kamen Flüchtlinge aus Lateinamerika und Afrika dazu. Heute ist die in jeder Hinsicht farbenfrohe Nachbarschaft in Downtown Toronto ein vitaler Tummelplatz der Kreativen, voller Kneipen und schrägen Boutiquen, mit bezahlbaren Mieten und Restaurants, die auch schon einmal jamaikanisch-italienische Küche anbieten oder in einem Fall, ernsthaft: ungarisch-thai. (Bitte nicht probieren…)
Das Miteinander aller Ethnien ist in Toronto kein Problem, auch wenn man ganz bewusst kein Melting Pot sein will: Von Chinatown bis Klein Portugal gibt’s hier eine Menge Viertel, in denen sich Einwanderer gleicher Herkunft fein getrennt voneinander angesiedelt haben. Das heißt aber nicht, dass die Torontonians sich auch mental in ihren Nischen einrichten würden: Sie sind stolz auf ihre Stadt, den langen Turm, die vielen Museen und sogar auf die „Maple Leafs“, das heimische Eishockeyteam, auch wenn das kaum mal was gewinnt. Zudem ist auch eine große Toleranz, ein Mut zum ästhetischen Grenzbereich spürbar: Die dekonstruktivistische, an einen Glas-Zeppelin erinnernde Bauweise der berühmten Art Gallery of Ontario würde sicher nicht in vielen Städten auf der Welt mit der gleichen Inbrunst geliebt wie in Toronto. Auch das von außen ein wenig an die Oper von Sydney erinnernde Royal Ontario Museum in Yorkville beweist, dass der Kanadier keine Angst vor kauzig-kantiger Architektur im öffentlichen Raum hat. Und wenn er mal einen Ausflug machen will, fährt er an die Niagarafälle, die von Toronto aus in zwei Stunden zu erreichen sind. Noch was, das New York nicht von sich behaupten kann…
Stand der Informationen: 20.01.2022. Die verbindliche Beschreibung der bei airtours buchbaren Leistungen finden Sie in der Buchungsstrecke der tui.com.
Harald Braun
Harald ist weit gereister Reporter und Schriftsteller. Am liebsten ist er übrigens mit Sabine unterwegs – seiner Frau, die eine hervorragende Fotografin ist.